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Inspirationsquelle Natur

28. Februar 2023

Oft werden Designer nach ihren Inspirationsquellen gefragt: Reisen? Messen? Austausch mit anderen? Ja, sicher sogar. Doch manchmal ist es einfach nur ein Spaziergang durch den Wald, die Landschaft und über die Berge. Man muss nur genau hinsehen.

 

Von Barbara Jahn


Schön und geheimnisvoll: Das Physarum Polycephalum wird bei diesem Projekt als biologischer Computer eingesetzt.
© Foto: ecoLogicStudio

 

Mit dem Kunstprojekt „Gan-Physarum: La Dérive Numérique“ wagen Claudia Pasquero und Marco Poletto, Gründer des Architektur- und Design-Innovationsbüros ecoLogicStudio, einen Blick in die Zukunft. Dafür haben sie mit ihrem Team im Auftrag des Centre Pompidou für die Ausstellung „Réseaux-Mondes“ einen maschinellen Lernalgorithmus darauf trainiert, sich wie ein lebender Schleimpilz zu verhalten, um die blau-grüne Zukunft eines bio-digitalen, autonomen Paris darzustellen.

 



Komplexe Prozesse: Der Stadtteil Beaubourg von Paris, in dem auch das Centre Pompidou beheimatet ist, in der künstlerischen Transformation durch den Schleimpilz Physarum Polycephalum.
© Foto: ecoLogicStudio

 

GAN steht für Generative Adversarial Network, eine algorithmische Architektur, die mithilfe von Deep-Learning-Methoden neue generative Modelle erstellt. Diese leistungsstarke Form der künstlichen Intelligenz wurde vom bioinformatischen Designteam so trainiert, dass sie sich wie ein Physarum Polycephalum, ein einzelliger Schleimpilz, „verhält“: Das trainierte GAN-Physarum wird durch die Straßen von Paris geschickt. In einem von der KI generierten Video mit dem Titel GAN-Physarum: La dérive numérique zeigt es, wie es die Muster des heutigen Pariser Stadtgefüges entschlüsselt und neu interpretiert. Auf diese Weise kann man den Übergang von der ursprünglichen morphologischen Ordnung zu einem entstehenden verteilten Netz von Wegesystemen beobachten, sozusagen die blau-grüne, feuchte und lebendige Infrastruktur der Stadt des nächsten Jahrtausends.

 


Starke Aussage eines biologischen Bildes: Das Kunstprojekt GAN Physarium, la dérive numeérique von ecoLogicStudio im Auftrag des Centre Pompidou in Paris.
© Foto: Naaro

 

Neben einem KI-Video und einem knapp einen Quadratmeter großen Bio-Gemälde, auf dem ein lebendes Physarum Polycephalum seinen vernetzten Körper ausstreckt, um sich von einem Netz von Nährstoffen zu ernähren, das auf der Leinwand verteilt ist, um die aktuellen biologischen Ressourcen von Paris genau zu kartieren, besteht das Projekt aus einem zweiten Video: „DeepGreen: Urbansphere“. Es zeigt die Anwendung des GAN-Physarum-Algorithmus auf eine Reihe von Projekten, die das Studio 2019 gemeinsam mit dem United Nations Development Programme (UNDP) initiiert hat. „Vor diesem Hintergrund sind wir Zeugen der Entfaltung einer postnatürlichen Geschichte, einer Zeit, in der die Auswirkungen künstlicher Systeme auf die natürliche Biosphäre zwar global sind, ihr Wirken aber nicht mehr ausschließlich menschlich ist“, sagt Claudia Pasquero, Mitbegründerin von ecoLogicStudio und Professorin für biodigitale Architektur an der UIBK und dem UCL. „Städte wie Paris sind zu sich gemeinsam entwickelnden Netzwerken aus biologischer und digitaler Intelligenz geworden, zu halbautonomen synthetischen Organismen.“

 

 


Wie es ist und wie es sein könnte: Guatemala City in einem Satelliten-Bild mit aktualler Vegetation und ein generierter Blick in die Zukunft für eine blau-grüne Stadt.
© Foto: ecoLogicStudio


DeepGreen: Urbansphere erklärt detailliert den Arbeitsablauf, der dem GAN-Physarum-Algorithmus zugrunde liegt, und beschreibt die Forschung von ecoLogicStudio zur Anwendung von Künstlicher Intelligenz bei der Entwicklung neuer blau-grüner Masterpläne für moderne Städte. Insbesondere wird der Fall von Guatemala City mit einem virtuellen Rundgang durch den datengestützten Grünplan illustriert. Es handelt sich um ein langfristiges Projekt, das darauf abzielt, systemische Städte zu entwerfen, die ihre Größe und kollektive Energie nutzen, um sowohl Menschen als auch vertriebenen Wildtieren Zuflucht zu bieten, das Entstehen eines positiven Mikroklimas zu fördern, erschöpfte Wasserquellen wieder aufzufüllen und geschädigtes Terrain wiederherzustellen, um Prozesse wie Wüstenbildung, Bodenerosion und Verschmutzung zurückzudrängen. Dies erfordert innovative Strategien zur Wiederherstellung der städtischen Umwelt. „Mit DeepGreen stellen wir uns eine autonome bio-digitale Stadt vor, die sowohl für menschliche als auch für nicht-menschliche Bürger gemacht ist und von einer neuen Form innermenschlicher Intelligenz geplant wird“, fasst Marco Poletto, Mitbegründer und Direktor von ecoLogicStudio, zusammen.

 


Mikrobiologie für Architektur: Die Luft kann durch eine Art Wände oder Vorhänge gefiltert werden.
© Foto: ecoLogicStudio


Ein weiteres angewandtes Projekt von ecoLogicStudio ist BIT.BIO.BOT, ein immersives Experiment zur häuslichen Kultivierung eines urbanen Mikrobioms. Der experimentelle Raum soll die Koexistenz zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Organismen in der post-pandemischen Urbansphere testen. „Wenn wir kollektiv, täglich und lokal dazu beitragen, Luftschadstoffe und Wasserverunreinigungen in nährstoffreiche Nahrungsmittel umzuwandeln, wird es weniger Möglichkeiten für unausgewogene virale Ökologien geben, nicht nachhaltige Lebensmittelversorgungsketten und verschmutzte Atmosphären zu nutzen, um unseren Organismus zu erreichen und uns Schaden zuzufügen“, meint Claudia Pasquero.

 


Experimentierfreudige Visionäre: Marco Poletto und Claudia Pasquero, die Gründer von ecoLogicStudio.
© Foto: Naaro

 

Bei BIT.BIO.BOT kombiniert ein urbanes Labor fortschrittliche Architektur mit Mikrobiologie, um einen künstlichen Lebensraum zu schaffen, der von einer Reihe von Systemen verwaltet wird, die die Kultivierung von Mikroalgen im urbanen Raum ermöglichen. Der zentrale biologische Mechanismus dabei ist der Prozess der Photosynthese, der durch die Sonne und den Stoffwechsel von lebenden Kulturen von Spirulina Platensis, einzelligen Mikroben, die oft als blaugrüne Mikroalgen bezeichnet werden, und Chlorella SP angetrieben wird. Diese lebenden Organismen gehören zu den ältesten auf der Erde und haben eine einzigartige biologische Intelligenz entwickelt, die es ihnen ermöglicht, die Sonneneinstrahlung mit unvergleichlicher Effizienz in echten Sauerstoff und Biomasse umzuwandeln.

 


Biologische Intelligenz: Lebende Kulturen wie Mikroalgen können Sonneneinstrahlung in Sauerstoff und Biomasse umwandeln.
© Foto: Marco Cappelletti

 

BIT.BIO.BOT besteht aus drei fließend miteinander verbundenen Systemen, die die grundlegenden architektonischen Umgebungen einer zukünftigen Wohnung verkörpern: die lebende Fassade, der vertikale Garten und das Convivium. Das Living Cladding definiert die Grenzen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Bereichen und zwischen architektonischen Innen- und Außenbereichen neu. Sie besteht aus zehn PhotoSynthEtica-Vorhängen. Darüber hinaus erhöht seine Gliederung die Interaktion zwischen dem Wachstum der Mikroalgen im Bio-Gel-Medium und der Umgebung sowie ihr Abschirmungs- und Beschattungspotenzial. Jeder Vorhang ist drei Meter hoch und einen Meter breit und verfügt über 35 Meter digitale Schweißnähte, die einen Hohlraum bilden, der 7 Liter Mikroalgenkulturen aufnehmen kann.

 


Die BioFactory: Im Headquarter von Nestlé in Lissabon läuft bereits ein Pilotprojekt.
© Foto: André Cepeda


Der Vertikale Garten – ein Algengartensystem für den Hausgebrauch - bildet eine dichte Pufferzone zwischen der Lebendigen Fassade und dem Convivium, die für ein intensives Modell der vertikalen Algenzucht genutzt wird. Auf einer drei Meter hohen und vollständig reversiblen Edelstahlstruktur beherbergt er 15 Bio-Bombolas. Jede Einheit besteht aus Borosilikatglas und 3D-gedruckten Biokunststoffkomponenten und beherbergt zehn Liter Mikroalgenkulturen in einem hocheffizienten Nährmedium. Die Algen können von jeder Einheit mehrmals pro Woche unabhängig voneinander geerntet werden, um bis zu hundert Gramm Biomasse zu gewinnen, was der empfohlenen täglichen Proteinzufuhr für eine vierköpfige Familie entspricht. Während der Produktion ist der Vertikale Garten in der Lage, CO2 in einer Menge zu absorbieren, die der von drei großen, ausgewachsenen Bäumen entspricht, was einen klaren Weg zur Kohlenstoffneutralität in der Architektur darstellt.

 


Adrián López Velarde und Marte Cázarez, die Gründer von Adriano di Marti, suchten nach einer Leder-Alternative ohne Tierleid und Umweltverschmutzung, aber bester Qualität.
© Foto: Adriano di Marti

 

Schauplatzwechsel an die andere Seite der Erde: Für Adrián López Velarde und Marte Cázarez begann alles mit dem Bewusstsein für ein ganz bestimmtes Problem. Die Textilindustrie rangiert der zweitgrößter Verschmutzer der Erde, und Leder ist das Grundnahrungsmittel für dieses Business. Das meiste Leder wird von Rindern bezogen, die viel Wasser brauchen, und es muss gegerbt werden, was noch mehr Wasser verbraucht. Schließlich muss Leder noch mit giftigen chemischen Stoffen behandelt werden, die nicht nur per se schlecht für die Umwelt sind, sondern dazu führen, dass Leder nicht biologisch abbaubar ist. 100 Millionen Tonnen an Müll entstehen so jedes Jahr. Die beiden Unternehmer wollen das ändern und begaben sich deshalb auf die Suche nach einer Alternative, die weder tierisches Leder noch Kunstleder und auch keine Plastikflaschen einsetzt, die ebenfalls nicht umweltverträglich sind. So begannen sie eine intensive Recherche zu pflanzenbasierten Materialien und fanden eine Lösung, die näher war als sie dachten: Der Kaktus, die meist vorkommende Pflanze in Mexiko. Der Kaktus ist gut für die Haut und braucht nicht viel Wasser. Und: Er absorbiert Kohlendioxid und bindet es.

 


Unter dem Namen Desserto stellen Adrián López Velarde und Marte Cázarez aus Kaktusblättern veganes Lederimitat her, das neben der Modebranche auch in der Automobil- und Möbelindustrie immer beliebter wird.
© Foto: Adriano di Marti

 

Das Ergebnis ist ein patentiertes Material, das auf der Kaktus-Pflanze basiert und eine Alternative zu tierischem und Kunstleder ist. Langlebig und kompatibel mit den hohen Ansprüchen und Umweltstandards, etwa jenen der Modeindustrie, ist die Pflanzung der Kakteen für mehrere Jahre ausgelegt. Dies gelingt dadurch, dass die Ernte den Kaktus selbst nicht schädigt. So beträgt die durchschnittliche Lebensdauer ungefähr acht Jahre. Geerntet werden nur reife Blätter und das auf schonende Weise, so können die jungen Blätter nachwachsen und alle sechs bis acht Monate gepflückt werden. Das hat viele Vorteile: Zum Beispiel erholt sich die Biodiversität in der gesamten Region, der LUC (Land Use Change) wird wieder umgekehrt - von der intensiven Nutzung zurück zu natürlicheren Bedingungen. Nicht zuletzt wird durch die für Mexiko typische, ursprüngliche Kaktus-Kultivierung die Bodenmikroflora angereichert. Zudem kommt, dass große Mengen an Wasser gespart werden können, da keine künstliche Bewässerung notwendig ist. Auch auf die Verwendung von Chemikalien wie Pflanzen- und Insektenschutzmitteln kann verzichtet werden. Das Material wird mit Wasser gewaschen, anschließend geschreddert und drei Tage in der Sonne getrocknet – auch das spart Energie. Durch ein industrielles Verfahren werden die Proteine und Fasern des Kaktus extrahiert, um Bioharz herzustellen. Es wird mit nicht-toxischen Chemikalien in ein tierversuchsfreies und hochwertiges, flexibles Biomaterial umgewandelt, das eine Alternative darstellt. Es wird in die gewünschte Form gebracht und der Wunschfarbe versehen. Es ist atmungsaktiv und färbt nicht ab. Ein wichtiges Kriterium ist auch, dass kein branchenübergreifender Konflikt entsteht, da das Nebenprodukt in einer höherwertigen Form an die Lebensmittelindustrie geliefert wird, die attraktiver ist und den Agrarsektor dazu anregt, mehr Kakteen zu pflanzen.

 


Nimmt Anleihe aus der Natur, um zu erden und zu beruhigen: Das multifunktionale Möbel Stratum von The New Raw.
© Foto: Michele Margot

 

Es geht aber auch anders herum, wenn das Künstliche natürlich wird. Das in Rotterdam ansässige Designstudio The New Raw, wurde für das überdimensionale Eingangsmöbel Stratum von der geologischen Schichtung inspiriert. Das skulpturale, 18 Meter lange Element bereichert den Eingangsbereich des neuen Bürogebäudes eines Pionierunternehmens für Online-Lebensmitteleinkauf im niederländischen Utrecht. Das größte monolithische Werk, das das kreative Duo bisher entworfen hat, versetzt den ganzen Raum in Schwingung - es dreht, wölbt, faltet und entfaltet sich in verschiedenen Höhen und Breiten. Multifunktional konzipiert dient es als Sitzgelegenheit, Empfang, Pflanzgefäß, Steharbeitsplatz und Anlehntisch.

   


Schönheit in Schichten: Aus Kunststoffabfällen wird eine vielfältige, maßgeschneiderte Felsformation.
© Foto: Pim Top/ Michele Margot

 

Das Projekt verwandelt 880 Kilogramm Kunststoffabfälle in eine neue Art von „Stein“ und simuliert Felsformationen durch eine ausgeklügelte Technik, die eine 3D-Skulptur entstehen lässt. So wie natürliche Schichten fossiler Sedimente im Laufe der Zeit verdichtet und lithifiziert werden, beginnt sich in Stratum eine neue Schicht auf der vorherigen abzulagern, bis sie bis sie ihre endgültige massive Form annimmt. Einige Schichten sind durch spätere Bewegungen zu Kurven verformt, als die Sedimente noch weich waren. Um die Metapher des geologischen Prozesses zu verstärken, ist die abgerundete Silhouette das Ergebnis einer versuchsweisen Ästhetik, die Design, Robotik und Handwerkskunst miteinander verbindet und dem Werk bewusst ein handwerkliches Flair verleiht. Graue Pinselstriche auf cremefarbenem Grund werden in zufällig geplanten Intervallen und in ständig unterschiedlichen Ausrichtungen hinzugefügt. Die resultierende Farbe ist inspiriert von Stapelkisten aus dem Supermarkt inspiriert - ein subtiler Hinweis auf den Kunden -, während die Textur den erdigen Charakter des Möbels verstärkt.

 


Die Designer von The New Raw im Print Your City - Zero Waste Labor in Thessaloniki.
© Foto: Stefanos Tsakiris

 

Stratum ist ein maßgeschneidertes Möbelstück, das die Funktionen maximiert und sich an verschiedene Situationen anpasst. Es eignet sich für Büros, Empfänge, Wartezimmer oder Gastronomie. Mit seiner soliden Form choreografiert es eine Innenraumlandschaft, die mit seinen geschwungenen Linien zur intuitiven Erkundung einlädt. „Das Spielen und Interagieren mit Stratum stimuliert die Sinne und schafft Engagement mit anderen. Materialität ist ein wichtiger Faktor in unserer Forschung, da sie eine wichtige Rolle für unsere mentale, visuelle und physische Wahrnehmung eines Raums spielt“, erklären Panos Sakkas und Foteini Setaki, beide Architekten und die Mitbegründer des Studios. „In diesem Fall verstärkt Stratum den Charakter und die Funktionalitäten einer gewöhnlichen einer gewöhnlichen Eingangshalle und vermittelt gleichzeitig ein Gefühl der Vertrautheit, so dass sich die Besucher beruhigt.“




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